Ein Kommentar von Vanguard Europe Chief Economist Jumana Saleheen, Vanguard Senior Economist Asawari Sathe und Vanguard Economist Roxane Spitznagel.
Die US-Notenbank (Fed) steht derzeit vor einer wenig beneidenswerten Aufgabe: Sie muss die Inflation auf ihren Zielwert bringen, ohne dabei die Wirtschaft abzuwürgen.
Ob ihr dieser Balanceakt gelingt, wird wohl vor allem von den Inflationserwartungen, den Energiepreisen und den Produktionsreserven der Wirtschaft abhängen – und davon, wie die Fed auf deren Entwicklung reagiert.
Vanguard hat ein Modell entwickelt, mit dem wir nachvollziehen wollen, wie die Fed auf Veränderungen dieser zentralen Faktoren reagieren und wie sich eine Reaktion auf Wirtschaft und Leitzinsen auswirken könnte.
Auf Grundlage der Wirtschaftsprognosen der Fed vom Juni 2022 analysieren wir drei mögliche Szenarien für die kommenden Monate: eine harte Landung, eine weiche(re) Landung1 und Stagflation.
Wir erwarten im kommenden Jahr einen Zinshöchststand von mindestens 4%. Für diese vergleichsweise restriktive Geldpolitik spricht die Befürchtung, die hohe Inflation und vor allem vor die unsichere Energieversorgung sowie die damit verbundenen Preisschocks könnten in diesem Straffungszyklus eine Lohn-Preis-Spirale auslösen, sodass sich die Inflation festsetzt.
Was aber, wenn sich diese Sorge als unbegründet erweist? Wenn sich die Inflationsprognosen als stabiler herausstellen als ursprünglich gedacht? Dann würde die Lohn-Preis-Spirale ins Stocken kommen und die Inflation womöglich schneller als erwartet zurückgehen.
In diesem Szenario würde die Zinspolitik der Fed, die auf Juni-Daten beruht, nach unserem Modell eine harte Landung provozieren. Wie die gestrichelte Linie in Abbildung 1c zeigt, würde sich die Produktionslücke (die Lücke zwischen der tatsächlichen Produktion einer Volkswirtschaft und ihrem maximalen Potenzial) sowohl 2023 als auch 2024 auf etwa -1,5% des BIP ausweiten.
Nach einer harten Landung im Verlauf dieses Jahres würde die Fed ihren Kurs schließlich korrigieren und die Zinsen senken. Die Rezession in den USA würde dann weniger gravierend ausfallen als in dem Alternativszenario, in dem Fed an ihren Juni-Prognosen festhält (durchgezogene Linie in Abbildung 1c ). Auch die Produktionslücke würde im Falle einer Kursanpassung der Fed mit rund -1% des BIP in den Jahren 2023 und 2024 geringer ausfallen.
Abbildung 1: Die Fed könnte eine harte Landung vermeiden, indem sie geplante Zinserhöhungen aussetzt
Hinweise: Die Prognosen in diesem Artikel beruhen auf unserem neu-keynesianischen Modell, das auf drei grundlegenden wirtschaftliche Beziehungen aufbaut: Gesamtnachfrage, Gesamtangebot und die Bildung von Inflationserwartungen. Ausgehend von einer Leitzinsschätzung vom Juni 2022 („Dot Plot“, gepunktete Linie in Abbildung 1a) prognostiziert unser Modell einen schnelleren Rückgang der Inflation (gepunktete Linie in Abbildung 1b), der zu einem Produktionsrückgang führt (gepunktete Linie in Abbildung 1c). Eine Anpassung der US-Geldpolitik (durchgezogene Linie in Abbildung 1a) würde sich auf unsere Prognosen für die Inflation und die Produktionslücke auswirken (durchgezogene Linien in den Abbildungen 1b und 1c), die Wirtschaft würde lediglich eine milde Rezession durchlaufen. Der PCE-Gesamtindex bezieht sich auf den Preisindex der persönlichen Verbrauchsausgaben für alle Artikel.
Quellen: Vanguard und „Is the Fed New-Keynesian?“ im Blog The Grumpy Economist von John Cochrane; Stand: 5 August 2022.
Das Stagflationsszenario beruht auf der Annahme, dass die Ölpreise weiter steigen und sich bei über 130 Dollar pro Barrel einpendeln und dass der Krieg in der Ukraine die Lebensmittelpreise bis 2023 weiter anheizt. Die Inflation könnte dann stärker ansteigen als erwartet, ihren Höhepunkt später erreichen und so die Inflationserwartungen schüren.
In diesem Szenario würde die Inflation langsamer zurückgehen als in den Juni-Prognosen der Fed, bis weit ins Jahr 2023 hinein bei über 4% liegen und sich erst danach bei etwa 3,5% einpendeln (gestrichelte Linie in Abbildung 2b).
Die Fed müsste dann aufholen und die Zinsen noch aggressiver anheben, um der hohen Inflation und steigenden Inflationserwartungen entgegenzutreten. Nach unseren Berechnungen könnten die Zinsen in diesem Szenario auf über 5% steigen, Umfang und Tempo der Zinsanhebungen würden die Finanzmärkte wahrscheinlich überraschen.
Ein so extremer Zinsanstieg würde die Inflation zweifellos bremsen, jedoch gleichzeitig eine schwere Rezession auslösen; die Produktionslücke würde sich auf -1,5% des BIP im Jahr 2023 ausweiten (durchgezogene Linie in Abbildung 2c). Dies ist deutlich mehr als in dem Szenario einer harten Landung (-1%), in dem die Fed auf geplante Zinserhöhungen letztlich verzichtet.
Abbildung 2: Anhaltend hohe Inflation könnte aggressivere Zinserhöhungen und eine schweren Rezession nach sich ziehen
Hinweise: Ausgehend von einer Leitzinsschätzung vom Juni 2022 („Dot Plot“, gepunktete Linie in Abbildung 2a) und adaptiveren Inflationserwartungen (die sich an der bisherigen Inflationsentwicklung orientieren und diese höher gewichten) prognostiziert unser Modell anhaltend hohe Inflation (gepunktete Linie in Abbildung 2b). Wenn die Fed der Inflation hinterherläuft und ihre Geldpolitik entsprechend strafft (durchgezogene Linie in Abbildung 2a), müssten wir unsere Prognosen für Inflation und Produktionslücke anpassen (durchgezogene Linien in Abbildung 2b und 2c); die Wirtschaft würde in diesem Fall in eine schwere Rezession stürzen.
Quellen: Vanguard und „Is the Fed New-Keynesian?“ im Blog The Grumpy Economist; Stand: 5 August 2022.
Im dritten Szenario einer vergleichsweise sanften Landung geht die Inflation zurück und belastet das Wirtschaftswachstum kaum. Dieses Szenario ist nicht unmöglich, würde aber nach unserer Einschätzung neben der richtigen Politik auch viel Glück erfordern. Für eine weiche Landung müssten sich alle drei politischen Faktoren in die richtige Richtung bewegen: sinkende Ölpreise, verankerte Inflationserwartungen sowie unerwartet hohe Produktionsreserven.
Sollte dieses Szenario tatsächlich eintreten, würden die Preise über einige Monate sinken (Deflation) die Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr würde zurückgehen (Disinflation).
Dann könnte die Fed einige ihrer geplanten Zinserhöhungen rückgängig machen, die Wirtschaft würde eine Rezession knapp vermeiden (durchgezogene Linie in Abbildung 3c). Der Endzinssatz würde bei etwas über 3% liegen. Ab Anfang 2023 könnte die Fed die Zinsen wieder senken, die Inflation würde sich ihrem 2%-Ziel annähern. 2023 würde sich die jährliche Wachstumsrate wieder erholen und viel früher als bei einer harten Landung oder einem Stagflationsszenario auf ihrem langfristigen Durchschnittswert einpendeln.
Abbildung 3: Bei günstigen Inflations- und Produktionsdaten könnte die Fed die Zinsen weniger stark anheben als geplant
Hinweise: Ausgehend von einer Leitzinsschätzung vom Juni 2022 („Dot Plot“, gepunktete Linie in Abbildung 3a) und einer günstigen Entwicklung von Ölpreisen, Inflationserwartungen und Produktionsreserven prognostiziert unser Modell einen allmählichen Rückgang der Inflation (gepunktete Linie in Abbildung 3b). Eine Anpassung der US-Geldpolitik (durchgezogene Linie in Abbildung 3a) würde sich auf unsere Prognosen für die Inflation und die Produktionslücke auswirken (durchgezogene Linien in den Abbildungen 3b und 3c), die Wirtschaft würde eine Rezession knapp vermeiden.
Quellen: Vanguard und „Is the Fed New-Keynesian?“ im Blog The Grumpy Economist; Stand: 5 August 2022.
Die Entwicklung der Wirtschaft lässt sich nie mit Sicherheit vorhersagen, steigende Verbraucherpreise machen Prognosen jedoch heute besonders schwierig. Die Lage wirft neue und wichtige Fragen zu den Inflationszielen der Zentralbanken auf – Ziele, die jahrzehntelang als selbstverständlich galten.
In unserer Analyse gehen wir der Frage nach, wie die Fed auf die neuen Daten und Entwicklungen reagieren und ihre Politik anpassen könnte. Auf Grundlage dieser Analyse können wir Zinsprognosen für verschiedene Inflations-, Energiepreis- und Wachstumsszenarien aufstellen. Es ist schwer, die Gedanken der Fed zu lesen – aber einen Versuch ist es wert!
Unklar ist, wie die Märkte auf diese wachsende Unsicherheit reagieren werden, doch das Risiko höherer Volatilität ist immer gegeben. Deshalb empfehlen wir Anleger:innen, strategisch zu denken und sich an den Vanguard Prinzipien für erfolgreiche Vermögensanlage zu orientieren: Sie sollten ihre Ziele definieren, ein ausgewogenes und diversifiziertes Portfolio strukturieren, das auf diese Ziele abgestimmt ist, auf ihre Kosten achten und Disziplin wahren.
1 Auf der Pressekonferenz nach der Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank am 3. und 4. Mai 2022 bezeichnete Fed Chairman Jay Powell ein mögliches Ergebnis wörtlich als „softish landing“.
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