• Um die Nachfrage anzukurbeln, hat China in der Vergangenheit meist auf Produktion und Investitionen gesetzt. Das Ergebnis sind Überkapazitäten und eine drohende Deflation. 
  • Chinesische Exporte haben außerdem die Importe für andere Länder verbilligt.
  • In den kommenden zehn Jahren dürfte Chinas Wirtschaft langsamer wachsen, chinesische Aktien scheinen dennoch unterbewertet.

In den vergangenen 40 Jahren hat China maßgeblich zum Wachstum der Weltwirtschaft beigetragen, doch heute steht die chinesische Wirtschaft vor großen Herausforderungen. In diesem Artikel analysiert Qian Wang, Vanguard Chief Economist für den Raum Asien/Pazifik und Global Head des Vanguard Capital Markets Model (VCMM), zusammen mit Grant Feng, Senior Investment Strategist, die Lage der chinesischen Wirtschaft und erörtert mögliche Auswirkungen für Anlegerinnen und Anleger. Insbesondere gehen die Autoren darauf ein, warum Chinas Probleme nicht mit der Situation Japans in den Neunzigerjahren vergleichbar sind.

Die Wahrscheinlichkeit einer chinesischen Stagnation nach japanischem Vorbild ist erhöht, dennoch ist die Lage Chinas heute nicht mit der Japans in den Neunzigerjahren vergleichbar.

Qian Wang

Vanguard’s Chief Economist in Asia-Pacific, Vanguard

Vor welchen Problemen steht die chinesische Wirtschaft? 

Nach längeren Kontaktsperren hat China seine Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu Jahresbeginn gelockert. Von der aufgestauten Nachfrage profitierte vor allem der Dienstleistungssektor, die Wirkung war jedoch von kurzer Dauer. Schwache Fundamentaldaten und strukturelle Probleme sind dafür verantwortlich, dass die chinesische Wirtschaft viel langsamer wächst als früher, zudem belastet die hohe wirtschaftliche Unsicherheit Haushalte und den privaten Sektor gleichermaßen. 

Dennoch scheut die Politik angesichts der seit zehn Jahren kontinuierlich steigenden Verschuldung vor energischen Eingriffen zurück. Überinvestitionen im Immobiliensektor haben die Verschuldung von privaten Bauträgern, Verbrauchern und lokalen Regierungen in die Höhe getrieben. 

Welche Gegenmaßnahmen hat die Regierung ergriffen?

Die Regierung hat vor allem die Zinsen gesenkt und so die Kreditaufnahme erleichtert, doch das größere Problem geht von schwachen Fundamentaldaten und einer Vertrauenskrise aus. Die Einkommen der chinesischen Haushalte sind in den vergangenen drei Jahren kaum gestiegen, und anders als in vielen Industrieländern hat sich die chinesische Regierung während der Pandemie mit staatlichen Einkommens- und Beschäftigungshilfen eher zurückgehalten. 

Dafür sind die Preise für Wohnimmobilien deutlich gesunken, der Immobiliensektor steht vor großen Herausforderungen. Fallende Immobilienpreise sind vor allem deshalb ein Problem, weil die privaten Haushalte des Landes nach unseren Schätzungen 60 bis 70% ihres Vermögens in Immobilien investiert haben. Zudem ist die private Verschuldung in den letzten 10 Jahren stark gestiegen und der Arbeitsmarkt schwach. Die Chinesen haben also erstens nicht viel Geld zur Verfügung und zweitens kein Vertrauen in die Zukunft. Trotz niedriger Kapitalkosten nehmen sie daher lieber keinen Kredit auf, die Nachfrage nach Kredit ist entsprechend dürftig. 

Und nicht nur die Verbraucher blicken misstrauisch in die Zukunft, sondern auch die Unternehmen. Nach unseren Schätzungen ist das Verhältnis von Schulden zu Einkommen der durchschnittlichen Haushalte in China höher als in den USA. Die Kommunalverwaltungen, die in der Vergangenheit Kredite aufgenommen, Geld für Infrastruktur ausgegeben und so die Wirtschaft angekurbelt haben, haben wegen der Preisrückgänge am Immobilienmarkt während der letzten zwei Jahre weniger Spielraum und weder die Mittel noch einen Anreiz für weitere Investitionen. In Anbetracht der Lage ist fraglich, wie wirksam eine expansive Geldpolitik sein kann.

Chinas Schuldenquote ist deutlich gestiegen

Quellen: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Daten von CEIC und Wind. Daten für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 2023.

Wie hat China seine Wirtschaft bisher angekurbelt?

Anstatt die Verbrauchernachfrage kurzfristig direkt durch Gutscheine oder Bargeld zu fördern, hat China lange Zeit auf Produktion und Investitionen gesetzt. Diese Strategie kann jedoch unbeabsichtigte Konsequenzen haben.

In den USA beispielsweise hat die Regierung zuletzt vor allem die Verbrauchernachfrage angekurbelt und so die Inflation angeheizt. Die Folge der chinesischen Konjunkturprogramme sind dagegen Überkapazitäten und ein erhöhtes Deflationsrisiko, und tatsächlich sind die Verbraucherpreise im Juli gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen.

Früher hat China im Grunde genommen seine Deflation in den Rest der Welt exportiert: Seit dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 liegt die Inflation der chinesischen Exportpreise bei null, die Importpreise für andere Länder waren entsprechend niedrig. Seit Jahresbeginn hat die Erholung der chinesischen Wirtschaft maßgeblich zur globalen Disinflation der Güterpreise beigetragen – während der Pandemie hat China erhebliche Lagerbestände und Produktionskapazitäten aufgebaut, der Renminbi hat deutlich abgewertet und die Güternachfrage aus dem Westen war schwach. 

China exportiert seine Deflation in den Rest der Welt

Quellen: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Daten von Eurostat, der People‘s Bank of China, der Allgemeinen Zollverwaltung Chinas und des U.S. Bureau of Labor Statistics. Daten für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Juli 2023.

Die Inflation hätte ohne die Überkapazitäten und den deflationären Druck in China insgesamt viel höher ausfallen können. Wir gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft auch in den kommenden Quartalen von dem Deflationsdruck Chinas profitieren wird. 

Wie wahrscheinlich ist es, dass China ähnlich wie Japan in den Neunzigerjahren in eine Deflation abrutscht? 

Ein Blick auf die demografische Entwicklung, den Immobilienmarkt und die Risiken im chinesischen Finanzsystem deckt Ähnlichkeiten mit Japan auf, wo die Wirtschaft nach dem Platzen der Aktien- und Immobilienblasen drei Jahrzehnte lang stagnierte. Die Wahrscheinlichkeit einer Stagnation nach japanischem Vorbild ist daher erhöht. 

Doch auch wenn einige der aktuellen Insolvenzen von Bauunternehmen Anlass zur Sorge geben, möchten wir auf einen wichtigen Unterschied zwischen China und Japan hinweisen: China hat eine sehr starke Zentralregierung, die alles tun wird, um einen Minsky-Moment1 zu vermeiden. Wir erwarten einen dreistufigen Prozess: Erstens wird China voraussichtlich an seinen strengen Kapitalverkehrskontrollen festhalten. Zweitens erwarten wir, dass die Zentralbank die Banken, von denen sich die meisten in Staatsbesitz befinden, weiterhin mit Liquidität versorgen wird. Und drittens dürften die Banken ihre Unternehmenskredite verlängern und so die Gefahr einer Systemkrise minimieren. 

China hat sich aktiv bemüht, ein Ausufern der Krise zu vermeiden, und so kurzfristig für Stabilität gesorgt – was jedoch auf Kosten der Effizienz gehen könnte. Einige Bauträger existieren vielleicht nur deshalb, um weiterhin Zinsen für ihre Schulden zu zahlen. Ein solches Szenario ginge zulasten des Produktivitätswachstums und der allgemeinen Wirtschaftsleistung und erhöht langfristig das Stagnationsrisiko. Der Immobiliensektor dürfte die Wirtschaft auch mittelfristig belasten und als Wachstumsmotor anders als früher nicht zur Verfügung stehen.

Doch es gibt noch einen weiteren bedeutenden Unterschied zwischen der Lage Chinas heute und der Japans in den Neunzigerjahren: China hat immer noch einen riesigen Binnenmarkt, egal was auf dem Immobilienmarkt passiert. Die ausländischen Direktinvestitionen sind zwar im zweiten Quartal dieses Jahres auf den tiefsten Stand seit 26 Jahren gefallen, doch Unternehmen aus Europa und einigen Schwellenländern investieren nach wie vor, weil sie vor allem im Konsum- und Dienstleistungssektor noch Potenzial vermuten.2

Welche Folgen haben die Probleme Chinas für Anlegerinnen und Anleger?

Unsere Untersuchungen zeigen keine Korrelation zwischen langfristigen Aktienmarktprognosen und langfristigem Wirtschaftswachstum. Anders ausgedrückt: Wirtschaftsprognosen lassen keine Rückschlüsse auf erwartete Renditen zu. Wenn wir alle weniger Wachstum erwarten, dann ist auch weniger Wachstum eingepreist. 

Chinesische Aktien sind aktuell günstig bewertet, weil die Märkte nicht nur schwächeres Wachstum eingepreist haben, sondern auch erhebliche politische, finanzielle und geopolitische Risiken. Zwar sind weitere Kursverluste möglich, doch auf dem aktuellen Niveau liegt der Median unserer 10-Jahres-Prognosespanne für die annualisierten Renditen chinesischer Aktien bei über 8%. 

Daher sehen wir in einer Allokation in chinesischen Aktien eine sinnvolle Ergänzung eines global diversifizierten Aktien-/Anleiheportfolios, mit dem sich langfristige Ziele nach wie vor effektiv umsetzen lassen. 

Anmerkungen

Der nach dem Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky benannte „Minsky-Moment“ bezeichnet den Zusammenbruch des Marktes nach einer nicht tragfähigen, durch die Anhäufung von Schulden angeheizten Spekulationsblase. Ein oft genannter Minsky-Moment war der Zusammenbruch von Lehman Brothers und die darauffolgende globale Finanzkrise.

Auf Grundlage von CEIC-Daten per 30. Juni 2023. 

 

 

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